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Fachkräftemangel? Die eierlegende Wollmilchsau war gestern

Im Zeichen einer sich abschwächenden Konjunktur trifft sich Kanzlerin Merkel mit Vertretern aus Wirtschaft und Gewerkschaften auf Schloss Meseberg, um über Innovations- und Investitionsbedingungen in Deutschland zu reden. Es wird erwartet, dass dabei auch der Fachkräftemangel in Deutschland zur Sprache kommen soll. Konkrete Beschlüsse soll es aber nicht geben – so die „News“ auf n-tv am 02. September 2014.

Ist der Fachkräftemangel also doch nur ein politisches Randthema ohne Handlungsbedarf?

Legt man die Zahlen der Arbeitsmarktstudie der BITKOM (Bundesverband Informationswirtschaft, Telekommunikation und neue Medien) von 2007-2013 zugrunde, so gab es 2013 allein bei IT-Fachkräften ca. 39.000 offene Stellen. Fasst man die Messgröße weiter und betrachtet die MINT[1]-Berufe, so beträgt die sogenannte „MINT-Fachkräftelücke“[2] im Juli 2014 ca. 120.300 Stellen.

Also doch eine volkswirtschaftlich relevante Größe? Das Thema ist weitaus komplexer.

Anforderung vs. Qualifikation

Am 1. September um 15:00 Uhr wurden auf einer Handelsplattform 1.415.089 Stück „Neu und Gebrauchtwagen“ angeboten. Schränkt man die Auswahl auf die Marke „Volkswagen“ ein, so sind es noch 248.183 Stück. Nur der Typ „alle Golf“ ergibt eine Trefferquote von 92.946 Stück. Erstzulassung ab 2004 = 73.673 Stück, HU min. 12 Monate = 46.946 Stück, Leistung min. 96 KW = 12.539 Stück, Kraftstoffart Gas (Autogas, LPG) = 4 Stück. Wenn Sie jetzt noch nur bereit wären, maximal 100 km ab Frankfurt zu fahren, um das Fahrzeug zu besichtigen / kaufen, liegt die Trefferquote bei exakt 0 (null).

Die Schlussfolgerung ist offensichtlich: Wir haben einen eklatanten Golfmangel in Deutschland!

Zum Vergleich eine aktuelle Anforderungsliste an einen Datenbank-Experten:

  • mehr als 10 Jahre Erfahrung in Datenbanken, davon mehr als 7 Jahre Erfahrung in Datenbank-Management und –Betrieb
  • mehr als 3 Jahre Erfahrung in Design, Datenmodellierung, Datenbankdesign und Datenbankentwicklung
  • Mehr als 5 Jahre Erfahrung in der Rolle eines Oracle-DBA
  • Einige Jahre Erfahrung in der Rolle eines MS SQL-Server DBA
  • Experte in SQL und DBMS actions wie komplexen queries, constraints, stored procedures, schema management, indexes und Oracle Performance Tuning
  • obligatorisch: hohe Kompetenz in PL/SQL, sowohl in Unix- als auch in Windows-Umgebungen
  • obligatorisch: hohe Kompetenz in Datenbank-Automatisierung durch skripting
  • obligatorisch: hohe Kompetenz in Windows und Unix
  • Gute Kenntnisse im Software-Engineering
  • Sehr gute Kenntnisse im Konfigurationsmanagement, insbesondere Tools wie GIT oder Subversion
  • Grundlegende Kenntnisse im Teradata DWH
  • Zusätzliche Skills skills:
  • Grundlegende Kenntnisse im MS SQL-Server
  • Vertraut mit dem Hadoop Datenbanksystem
  • Kenntnisse des .NET-Frameworks
  • Erfahrung in der agilen Software-Entwicklung mit Scrum

Entweder musste hier ein IT-Einkäufer überzeugt werden, dass es weltweit nur diesen einen Menschen gibt, der alle Anforderungen erfüllt und dessen Honorar man nun mal bezahlen muss, oder es wird tatsächlich die eine sprichwörtliche eierlegende Wollmilchsau gesucht. Diesmal aber mit Schwimmhäuten und Flügeln, die als one-man-show drei bisherige Kollegen ersetzen kann.

Na ja, angeblich gibt’s auch Cabrios mit Dachreling und Ferraris mit Anhängerkupplung …

Auch hier ist die Schlussfolgerung offensichtlich: Wir haben einen eklatanten Mangel an Datenbank-Experten, also Fachkräften, in Deutschland!

Aber: Laut der aktuellen Studie „Fachkräftemangel“ des Personaldienstleisters ManpowerGroup[3] reagieren mittlerweile fast 20% der vom Fachkräftemangel betroffenen Unternehmen mit Weiterbildungsmaßnahmen. 13% stellen Mitarbeiter ein, denen die fachliche Qualifikation zwar noch fehlt, deren Potenzial aber so eingeschätzt wird, dass sie die Chance haben, in den Job hineinzuwachsen.

Anforderung vs. Preis

Das Gros der Stellenausschreibungen, die täglich neu auf den Markt kommen, ist allerdings durchaus realistischer, was die Summe und Kombination der geforderten Skills angeht. Nur, wenn dann die Anforderung an die Erfahrung des Kandidaten „mehr als 10 Jahre Erfahrung in …“ lautet, das Budget aber nur das Gehalt oder Honorar für einen Junior hergibt und sich deshalb niemand findet, der diese Stelle besetzen möchte.

Es ergibt sich erneut als Schlussfolgerung: Wir haben einen eklatanten Fachkräftemangel in Deutschland!

„Blue Chip“ vs. Mittelständler

Von den Absolventen meines Jahrgangs fanden damals ca. 50% sofort eine Stelle bei einem bekannten Automobil-Hersteller in der Region. Ca. 25% gingen zu einer Bank mit angeschlossener Elektroabteilung, ebenfalls in der Region – der Rest verteilte sich auf Unternehmen aller Größenordnungen, Branchen und Regionen. Dieses Verhältnis hat sich in den letzten Jahren dramatisch verändert. Heute „liefert“ diese Hochschule ca. 90% der Absolventen des Wirtschaftsingenieurwesens an einen großen Hersteller von Standardsoftware in der Region.

Haben also vielleicht nur die KMUs (Kleine und Mittlere Unternehmen) das Problem, offene Stellen nicht besetzen zu können, weil ihnen die großen, bekannten und imageträchtigen Unternehmen nicht genügend qualifizierten Fachkräfte „übrig“ lassen? Sicherlich ein Mosaikstein in der Gesamtproblematik, den mancher Personalverantwortliche eines „hidden champions“ auf dem Lande sofort unterschreiben würde – umso mehr, je mehr sein Unternehmen sich auch in Sachen „employer branding“ versteckt.

Dies wäre natürlich umso dramatischer, wenn man sich vor Augen führt, dass allein die im Verband der Familienunternehmer organisierten Mitgliedsunternehmen 95% aller deutschen Unternehmen ausmachen und einen Jahresumsatz von ca. 300 Milliarden Euro erwirtschaften – im Vergleich zu einem Brottoinlandsprodukt von 2.400 Milliarden Euro.[4]

Der Bundesverband der mittelständischen Wirtschaft (BVMW) berichtet jedoch aktuell, „dass der deutsche Mittelstand auf der Überholspur bleibt“.[5]

Laut einer Studie „DNA of an Entrepreneur Report“ des Spezialversicherers Hiscox konnten 23 % der KMUs in Deutschland im vergangenen Jahr mehr Personal einstellen.

Muss ich mir also, um bei der Eingangsanalogie mit den Autos zu bleiben, einen Klein- oder Mittelklassewagen vorstellen, der wegen Fachkräftemangels nur mit angezogener Handbremse die „Brummis“ überholt?

Bewerbermarkt

Manche Unternehmen haben noch nicht realisiert, dass der Arbeitsmarkt in den letzten Jahren zum Bewerbermarkt geworden ist und sie folglich für Bewerber attraktiv sein müssen, um in diesem Wettbewerb um Fachkräfte zu bestehen.

Dafür haben umso mehr Jobsuchende die Situation erkannt. Das treibt dann wieder Stilblüten in die andere Richtung. So erzählte mir der „Manager Young Talents“ eines Kunden, dass ein Bewerber um einen Ausbildungsplatz! die folgende Gesprächseröffnung wählte: „Wer ich bin und was ich kann wissen Sie ja aus meinen Zeugnissen. Lassen Sie uns also gleich darüber reden, was Sie mir bieten können!“

Offensichtlich kein Einzelfall. So hat uns gerade erst der Geschäftsführer eines Partnerunternehmens darüber informiert, dass er ganz aktuell die Suche nach neuen Mitarbeitern einstellt, „weil die Ansprüche und Vorstellungen der Bewerber einfach in keiner Relation zur Aufgabe stehen.“

Also ein weiterer Baustein zum Fachkräftemangel?

Oder alles nur ein Fake?

Nun gibt es auch Menschen die behaupten, dass ein Fachkräftemangel gar nicht existiere. Es sei lediglich ein von Wirtschaftslobbyisten generiertes Schreckgespenst, um die Beschäftigungs-möglichkeiten für billige Arbeitskräfte aus dem Ausland zu verbessern und auf diese Weise die Personalkosten am Produktionsstandort Deutschland weiter zu senken.

Auch hierfür wird jeder in seinem persönlichen Umfeld zahlreiche Beispiele finden, die zum propagierten „Fachkräftemangel“ einfach nicht passen wollen. Sei es nun die Altenpflegerin, die nach dem Examen nicht übernommen wird, an deren Stelle aber zwei Hilfskräfte mit Migrationshintergrund beschäftigt werden. Oder die junge Maschinenbauerin, die nach ihrem Diplom über Monate hinweg auf ihre Bewerbungen nicht einmal zu einem Vorstellungstermin eingeladen wird. Oder der promovierte Chemiker, der lange keine adäquate Festanstellung findet und schlussendlich ein Studium der Medizin beginnt. Wasser auf die Mühlen der Verschwörungstheoretiker.

Fazit

Der demografische Wandel ist nicht zu leugnen, der Babyboomer-Jahrgang feiert in diesem Jahr 50. Geburtstag. Selbst wenn ein Teil des Fachkräftemangels aufgebauscht sein sollte, so hilft diese Erkenntnis denjenigen auch nicht weiter, die ihren konkreten Bedarf an Fachkräften nicht decken können.

So stellte bereits 2012 ein Teilnehmer des Symposiums „Wohlstand oder Notstand“, veranstaltet vom Bundesverband für Wirtschaftsförderung und Aussenwirtschaft (BWA), fest: „Als mittelständischer Unternehmer läuft Fachkräftesicherung nur über Eigeninitiative.“

Diese Eigeninitiative kann vielfältige Formen annehmen – auch die des Engagements in einer der Initiativen wie „MINT – Zukunft schaffen“[6], „Jugend braucht Arbeit“[7] oder „erlebe IT“[8].

 

[1] MINT: Mathematik, Informatik, Naturwissenschaften und Technik

[2] Quelle: Initiative „MINT – Zukunft schaffen“,

[3] Quelle: Manpower Group, Studie Fachkräftemangel 2014, https://www.manpower.de/neuigkeiten/studien-und-research/studie-fachkraeftemangel/

[4] Quelle: Die Familienunternehmer, www.familienunternehmer.eu

[5] Quelle: Bundesverband der Deutschen Wirtschaft, http://www.bvmw.de/nc/homeseiten/news/artikel/deutscher-mittelstand-bleibt-auf-der-ueberholspur.html

[6] http://www.mintzukunftschaffen.de/

[7] http://jugendbrauchtarbeit-frankfurt.de/home/

[8] https://www.erlebe-it.de/

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